Lesestoff

Zweigmelder

Als ich am Morgen den gewohnten Weg zur Bahnstation zurücklegte, fand ich sämtliche Sträucher zur Seite des Fahrradwegs abgeholzt, ihre Äste sorgsam zu Haufen gelegt. Einige wenige Büsche kurz vor der Bahnunterführung hatten die gartenbauliche Maßnahme überlebt und grüßten traurig, ich weiß nicht, ob mich oder ihre entleibten Weggefährten.

Am nächsten Tag denselben Weg kommend sah ich auch sie, die Letzten, unter den Motorsägen zweier Grünamtsbeschäftigter zu Boden gehen. Ich fragte einen, warum er tue, was er tat. Er wisse es nicht, antwortete der junge Mann und blitzte kampfbereit eventuellen Nachfragen entgegen. Deren ich nur die eine stellte: „Was machen jetzt die Vögel, die hier bisher genistet haben? Der Stadtteil hat kaum noch Gehölze, die dazu geeignet sind.“ „Keine Ahnung“, sagte der Arbeiter. „Wir bekommen immer mal Anrufe, dass Zweige in einen Fahrradweg hängen. Kann sein, dass der Herr wieder angerufen hat, ich nehme es sogar an, dann rücken wir aus. Mehr weiß ich nicht.“

Ewart Reder

SHEDANCE
© Ewart Reder

Auf Play den Finger platziert. Nicht lange geziert zur Erkenntnis zu geben, wer wir sind. Zwei Fremde auf ähnlichen Wegen, ein Zufall sich zu begegnen. Im Wissen zu schwimmen in ähnlichen Meeren, ein Flüstern wird zur Brücke, ein Überqueren zur nährenden – Unterhaltung. Achtung. Inspiration ergreift die Fasern, rennt durch die einst teils leeren Hallen, Worte sprengen die Mauern. Auf Play den Finger platziert, gelauscht und verbunden, zusammengesetzt, was in schnellem Tempo, mit einigen Pausen versetzt, nun rund wird. Rund, wie ein Ballon und genauso schwerelos, leicht und schön anzusehen und ich höre zu, was du erzählst und kann es fühlen, als wäre ich nebst neben dir – gewesen. Zwei unterschiedliche Wesen, vermutlich Welten entfernt. 

Vanessa Verzay

Ein Dastehen und Reden wird langsam zum Brüllen, wenn Lärm nicht verebbt und es zu beben beginnt. Ein Kreisel dreht sich bestimmt und geschwind in Richtung Ende des Tisches und fällt. Die Spitze eines Stiftes zerbricht durch viel Druck und mit Schlurfen und Husten wird nun witzelnd gespitzt. Während X sich verspricht lacht Y sich schlapp, während Z halb schläft ist F zu wach. Die Sonne scheint und schreit kommt spielen, der Truck ist laut und der LKW zu viel. Dann kommt ne Biene. Viele schiefe, hohe Stimmchen beginnen zu quietschen, Stimmlippen schwingen und hör’n gar nicht mehr auf. Zu laut und zu hektisch, die Biene verpisst sich. Und ich steh noch da. Nach 70 kommt 30. Wunderbar. Ein Platz ist leer und wieder mal ist niemand da, der weiß wieso und warum und weshalb, ein Knall, dann greift jemand zum Hörer und ruft die Polizei an, denn 30 Tage in noch keinem halben Schuljahr sind zu viel zu wenig. Vergeblich versucht zu erreichen, dass man Bescheid weiß, wo das Kind bleibt. Einmal zu viel zu wenig Info und das Polizeiauto ist schon losgefahren und klingelt an der Tür des Kindes Alarm. Man steht da inmitten des Chaos und blickt hilflos auf die Brocken und Teile und fragt sich verzweifelt wie oft muss es noch zu weit gehen. Die Energie ist da, aber der Wille schwindet und dennoch geht es um das Wohl des Kindes, während man helfen will, aber kaum kann, geht jemand unter und den nächsten Höhenflieger zieht man runter, damit alle knapp unter dem Durchschnitt landen am Ende von vielen Kämpfen und vielen die unterm Radar verendend fahren. 

Vanessa Verzay

Seligenstädter Literaturtage

Mittwoch, 3. November von 15 – 16 Uhr

WortWellen

Die Seligenstädter Literaturtage vom 9./10. Oktober haben es vorgemacht: Die Literatur kann sich hören und sehen lassen, öffentlich, körperlich, ungefährlich. Keiner muss krank werden, aber keiner muss auch verzichten auf das Erlebnis von Texten und ihren Autor:innen, von Lesungen und Gesprächen über Literatur. Möglich gemacht haben das der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ver.di – Landesverband Hessen sowie das Skriptorium Seligenstadt.

Gedichten, Erzählungen, Romanpassen zu lauschen in Gemeinschaft mit anderen, über das Gehörte zu sprechen, Schreibende kennenzulernen, ist anregend. Für Autor:innen bedeutet das Zusammenkommen mit ihresgleichen und mit Leser:innen ebenfalls viel. Eine Dynamik entsteht, die, vom einsamen Schreibzimmer aus ersehnt, in dasselbe belebend wieder zurückwirkt. Ein Lebensnerv wurde getroffen an jenem Abend und dem darauf folgenden Vormittag, als auch noch das Wetter passte und sich unterschiedliche Stimmen der hessischen Literatur vereinigten, nicht zu einem Chor, eher zu einem Potpourri.

Aus einem starken Dutzend Stimmen haben die WortWellen fünf kraftvolle ausgewählt. Auszüge aus ihren aktuellen Büchern lesen: Bernhard Bauser, Sigrid Katharina Eismann, Joachim Durrang, Tamara Labas und Ewart Reder. Lass die Atmosphäre jener sonnenvergoldeten Tage in dein einsames (?) Radiozimmer ein. Und vernimm staunend, was für tolle Bücher in Hessen geschrieben werden.

Bild Literaturtage Kopie 768x865
Plakat: Julia Mantel

Ce Nom d’Homme

Savez-vous

   que c’est mon frère

   qui à fleur de sève

   gît là-bas étripé

   baignant dans son sang

   comme une jeune pousse brisée

   au milieu des ruines

   Il porte le même nom

que moi

   ce fameux nom

   tant escroqué et tant sali

d’ h o m m e

   que j’ai hérité d’ancêtres

si lointains

   aussi la mémoire ne m’en garde

   que des bribes

La cruauté mange l’être

Savez-vous que

   la balle bouffie de haine

   qui l’a fauché

   dans le fracas éparpillé à lisière

   de la vie

   est partie de la main non tendue

   d’un autre frère

   il porte aussi la même nationalité

que moi

   cette nationalité

   nue et tant violée

d’ h o m m e

   que l’on m’a léguée depuis la nuit

des âges

   comme une asymptote

   de caresses

La métamorphose crée toujours l’être

Vous savez

   que seul

le respect de regards

   invente l’humus

   qui tend la voile

   de toutes les paix

   à racines d’hommes.

Muepu Muamba

Francfort-sur-le-Main, le 17. octobre 1992

First english words on that page:

‚Walking produces fatigue‘ he wrote in his diary, ‚car takes too much for granted, but on your bicycle you are both flying and part of the world.‘

Gabriel Josipovici

Gabriel Josipovici © Ewart Reder

Der letzte Modernist

Mittwoch, 6. Oktober von 15 – 16 Uhr

WortWellen

Einer leicht phantasielosen Begrifflichkeit zufolge leben wir in der Postmoderne. Davor lebten wir in der Moderne. Das Einzige, was unsere Epoche mit ihrem Namen über sich aussagt, ist also, dass sie nicht mehr „modern“ ist. Und wer sich mit den Begriffen beschäftigt, stellt fest, dass dahinter zwei Programme stehen. Die Moderne gilt heute als utopisch, engagiert, revolutionär und einfacheren Gemütern auch als ’schwierig‘. Dagegen wollte die Postmoderne eine neue Leichtigkeit setzen. Anything goes. Close the gap and cross the border. Mit diesen Parolen wollte man den Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung (vgl. unser Septemberthema) zuschütten, um eine neue Massenkultur (die Popkultur) zu schaffen. Bei vielen interessanten Ergebnissen des Projekts fällt auf, dass die Literatur seitdem vor allem eins geworden ist: konventioneller. „Pappmascheeromane“ nennt der Protagonist von Gabriel Josipovicis Roman „Wohin gehst du, mein Leben?“ die Bücher, mit deren Übersetzung er sein Geld verdient.

Womit der Gegenstand unserer heutigen Sendung benannt ist: Gabriel Josipovici. Der britische Autor hat, weitgehend unbemerkt von der deutschen Leserschaft, eine lange Reihe meist kurzer Romane geschrieben. Und die sind unverdrossen modern. Josipovici veröffentlichte auch ein längeres Essay, das nach den Gründen fragt, warum das moderne Literaturprogramm von den meisten Autor:innen verlassen wurde: „What Ever Happened to Modernism?“. Wir werden uns in einer späteren Sendung damit befassen. Heute geht es um „Wohin gehst du, mein Leben?“, den aktuell einzigen Josipovici-Roman , der auf deutsch lieferbar ist (Jung&Jung). Sowie um zwei weitere Romane des Meisters, auf englisch erhältlich. WW-Redakteur Ewart Reder und sein Gesprächspartner Axel Dielmann, Verleger und Schriftsteller aus Frankfurt, outen sich als Josipovici-Gourmets und -Fans. Im Gespräch über drei seiner Romane wollen sie das Geheimnis des literarischen Einzelgängers anfassbar machen. Wenige Tage vor der Buchmesse sind außerdem spannende Neuigkeiten aus dem Axel Dielmann – Verlag zu erwarten. Many things, go!

Maboul

à Béatrice Ullrich

Cotonou, le 23 décembre 1981

Ecoute
l’archer mage de son arc vermeil a encore jeté
le charme d’escroquerie
la liberté sœur siamoise de l’indocilité
s’est affrontée avec sa sœur cadette  révolution
devenue sa mortelle ennemie depuis
la fameuse nomenklatura
rage sous les barricades flasques de sang rouge
d’innocence
cadence de la nouvelle dictature
maboul
un vieil air de sonorité bien connue
qui se meut toujours au dehors et au-dedans de
la cruauté
un joli rêve tissé de larmes et de deuil
écoute cette rumeur insatiable de chars qui terrorisent
le sol afghan
kaboul a fait irruption dans l’histoire
sanglante de ces peuples que la puissance véreuse
décime on sait jamais pourquoi
mais les courtisans juteux sont déjà à la porte pour
nous expliquer cette atroce boucherie par de savantes
théories absconconcrètes
pernicieuses 
comme il arrive toujours dans ces cas-là
« peines infamantes sans doute pour punir le crime
de lèse-Homme »
o mes frères de désolation quel est ce grand génie
qui 
nous offre des émotions sanguinolentes comme
parangons
du bonheur
hérauts des épopées totalitaires l’odeur poisseuse
des charniers a débordé des frontières bien surveillées
et nous empêche
de dormir 
comme une épine enfoncée dans le dos de
tous ceux qui ont cœur bien ancré à gauche
écoute  à kaboul
la liberté vandalisée
est couchée dans une tunique pleine de ronces
maboul
        c’est l’aventurier woher imposé au peuple nicaraguayen 
                           par les yankees
           c’est l’intervention armée contre arbenz au guatemala
           c’est la savane du katanga ravagée par la brigade
                        d’asservissement rapide pour sauver kolwezi
maboul
        c’est le vietnam
        c’est le chili douloureusement décapité
        c’est l’angola soumise quotidiennement aux bombes
                           assassines de la « démocratie »  carnassière
        c’est gambie remise au pas
        c’est la normalisation des peuples sans dignité ni 
                      droits à faire prévaloir
la duplicité scellée au sang semble être l’enfant le plus
légitime des grands prêtres de la politique
la messe se célèbre toujours avec fracas comme jadis à yalta
quand
les hommes se partagèrent les ustensiles comme un flot d’ovules
stériles négligemment jetés dans l’égout
maboul
           c’est l’armée rouge à prague
           c’est la priorité de l’état sur le peuple
maboul c’est mourir à l’espoir parce que dans les révolutions
           nous avons salué une nouvelle notion du respect 
           de la vie
mais heureusement kaboul n’est pas seulement cela
          c’est aussi une explosion d’un instant lumineux
                               de gravité d’insoumission
         une minute qui se propage en réaction en chaîne 
         porteuse de ce mot toujours sublime toujours
                               bouleversant de dignité
                               et liberté sa belle messagère
kaboul c’est le refus catégorique de courber l’échine devant les
                           bombes les chars et les canons
maboul
           c’est un non à l’asservissement d’un peuple au nom de 
                           la fameuse liberté théorique 
                                      prédatrice bayadère 
                                        belle péripatéticienne
           c’est un non retentissant à tous les bourreaux venus
                               d’ailleurs
kaboul
          c’est un vrai cri de résistance et d’élucidation
nous montrerons nos fesses déchirées de clochards
insoumis
          comme hosanna des relations qui existent entre l’hilarité
          généreuse et les arabesques de la danse vitale 
certes
les bombes détruisent toujours une parcelle de l’espoir
mais elles ne peuvent rien composer de symphonique
seul
ce que crée le rire
                           dans sa jubilation érotique
            est authentique unique et indéracinable
la Liberté Humaine s’est déjà suffisamment gavée de son pesant
                                       de sang
il s’agit en ces heures tragiques de dévoiler ave vigueur une
        illumination de la dignité qui éploie le respect des hommes
                                          concrets
nous disons non aux mirages surgis du désert de la dialectique  cette
                 vision dérobée à la matrice de tout joug despotique 
où le monde
                  se vautre avec une troublante et amnésique somnolence.

Muepu Muamba

Ich will gar nicht

Ich will gar nicht darin baden, ich will untergehen.
Ich verschließe nicht die Augen, ich kann eh nicht sehen.
Ich liege nicht, ich schleppe mich.
Verkrieche mich im hellen Licht.
Suche nicht, du findest mich
und findest das dann fürchterlich.
Vanessa Verzay

Rache / n/ voll

Rache 
n
voll
und ganz versagt
Wahl der Qual
Lügen größer
als das Herz vom Wal
Alles schlecht
geredet
gedacht
man weiß es ginge besser
nur gemacht 
wird's nicht 
ach 
schwach
sinn
alle
s 
miteinander 
am end
lich
treffend die Entscheidung 
nicht getroffen
 
- Vanessa Verzay 

Wählt die Deutsche Einheits PPartei!

CSAFDPU/DIEGRÜNEN

Letzte Fristen
da zu da zu verstreichen
nutzlos

Ewart Reder

Kuscheln mit Gott

Die Großmutter in dem gerahmten Foto
lächelt auf ihrem Sofa.
Und lächelt.
Tag und Nacht. 

„Wo ist denn unsere Großmutter jetzt?“
„Da ist sie doch!“
„Aber sie lebt nicht mehr. Seit letztem Sommer.“
„Dann ist sie eben unter der Erde.“
„Nicht im Himmel?“
„Nö, die Toten kommen doch unter die Erde.“
„Und was macht sie da?“
„Kuschelt mit Gott!“

Die Großmutter auf ihrem Sofa lächelt.
© Tanja Dückers

Ein Leser!

Ein geräumiger Park in Kreuzberg wirbt um Flaneure. Ich setze mich auf eine Bank und esse. Auf allen Bänken in meinem Blickfeld sitzen ältere Männer. Der jüngste ist vierzig und isst auch: auffälliger Weise Pflaumen. Ein Mann sitzt nicht, sondern liegt. Sein Gesicht ist sonnengebräunt in der unfreiwilligen Art wohnungsloser Gesichter. Als ich meine Mahlzeit fast beendet habe, setzt der Mann sich auf und ich sehe, dass sein Gesicht außer wetterfest eindrucksvoll gut aussieht. Wäre er ein Schauspieler, würde man ihm Umstände halber eine Westernrolle anbieten, in der seine exponierte Sonnenbräune zur Geltung käme. Aus seinem grauen Jackett zieht der Mann einen Tabaksbeutel und ich ertappe mich bei einer unangemessenen Verwunderung über das Geschick, mit dem er sich eine Zigarette dreht.

Ja, was hätte ich denn gedacht? Zu meinem Eindruck von dem Mann hätte ein goldenes Zigarettenetui gepasst, aus dem er sich eine teure Orientzigarette gefingert hätte.

Am nächsten Tag komme ich wieder an dem Park vorbei. Ich habe es eilig und will nichts essen. Über den Zaun wandert mein Blick zu der Bank, auf der der gutaussehende Mann gesessen hat. Er sitzt wieder da. Sein Haar ist sorgfältig (und altmodisch) gescheitelt. Kein Millimeter seiner Haut zwischen Haaransatz und Gesicht, der nicht die gleichmäßige Bräune aller unbekleideten Körperteile des Mannes aufwiese. Und dann sehe ich das dicke, wie neu wirkende Buch auf seinem Schoß. Mein Blick ruht auf dem Mann, solange ich an dem Park vorbeigehe. Er liest aufmerksam in der Art, in der wohlorientierte Menschen sich neuen und herausfordernden Eindrücken überlassen können.

Ewart Reder

So wie tausend Nadeln

Ausgebrannt und leergefegt. Die Bäume abgesägt
an einem Platz an dem man viel vergräbt
Viel gesehen. Viel erlebt. Die Schulter, die die Lasten trägt
niedergedrückt auf den Asphalt -
da wo jetzt die Träume leben.
Cafés und Regen.
Blut tropft herunter
denn du beißt mit deinen Zähnen
munter auf die Zunge
Deine Lunge
Spürst du wie der Druck sich steigert, immer
Weiter, gut gemeistert
nicht zu schreien. Kannst du weinen?
Leise Stimme schwingt im Winde und trägt
Diese Frage
Schmerzend, so wie tausend Nadeln. Nadel
Du
Hängst an ihr und sie in dir. Jetzt und hier
Und immer.
Schlimmer.
Reiß sie aus. Die Haare und die Nägel und die
Zähne
Und die Nadel
Ertragen
Was ist
Leben
Atmen oder reden oder lachen oder weinen
oder flehen oder schreien oder einfach nur da
Sein.
Keine Antwort, wenn die Frage schon die Antwort ist.

Vanessa Verzay

Mit vollen Taschen

© Ewart Reder

Mit vollen Taschen

kannst du nicht betteln

weiß die Liebe

Ewart Reder

Exkursionen in die Höhe

Türme

4. Teil

Goetheturm

Ein anderer Turm; ein anderer Weg, entlang dem ich kam, ein längerer Aufstieg, diesmal über Stufen aus Holz, zwischen Stämmen von Kiefer, die keine Mauer bilden, sondern bloß zu viert zusammengefaßte Pfosten. – Begeistert hat mich, wie zwei Dächer einander bedecken.

Aufgestiegen war ich unter einem Blätterdach, in das mich der Turm zwischen den umstehenden Baumstämmen führte; denn allmählich schaute ich in die Bäume hinein. Es ist mächtig, dieses Dach. Ich durchsteige es langsam, wie eine Bahn trüben Wassers. Aber der Turm ragt weiter, ich gelange höher, aus der grünen Dichte heraus, und blicke herab auf die unebenmäßige Geschlossenheit des Walddaches. Ich steige weiter. Bis unter das gezimmerte Dach des Turmes selbst, hoch über der Walddecke.

                   *

Auf einem Foto wäre nicht zu entscheiden gewesen, ob man von oben oder von unten in ihn hineinblickte. Das Innere des Turmes sind Treppen, man könnte unter ihnen gehen. Obwohl dies Gehen, wie die Treppen von außen zeigen, im Verlauf von Diagonalen liegt, ist der Innenraum des Turmes nur entlang einer Ausrichtung gedacht: Wie die einzelne Stufe (die beidseitig Stufe ist!) ist die Sichtung des Raumes Turm die Senkrechte.

Wie gesagt, hiervon lenkt einzig die Zwischenstufe ab, welche man von außen als Treppe bezeichnen kann; nennen wir sie das Mobiliar des Turmraums. Ganz Treppenhaus, sind sie seine einzige Einrichtung; sind es so sehr, daß sie ihn voll ausfüllen, ganz einnehmen. Die Wände des Turmes sollten bestenfalls nicht da sein.

                   *

„Türme“ – man könnte formulieren: Die Leiter fordert Räume.

Stellen wir uns einen Weg vor – die kontinuierliche Horizontale als Pendant zur diskreten Vertikalen. (Sie ist zweifach Pendant.) Nehmen wir an, der Weg führte uns auf einen Berg zu, und, um rein im Pendant der Ebene zu bleiben, überstiege er ihn nicht, sondern durch-querte ihn. – Wir sprächen vom Tunnel oder einer Galerie; und meinten: die Ausweitung des Weges zum umbauten Raum.

Manche Türme, wie dieser, haben Balkone; Plattformen auf halben Höhen, auf denen man steht, herausgetreten aus der Enge der vielen gleichen Möbelstücke, um Luft zu haben. – Mehr ist hiervon nicht zu sagen. (Es beträfe die Aussicht.) –

Der Unbewegliche ragt bei den leicht-erregten Bäumen. Im Sturm vergessen sie ihn – schon eine größere Bewegung der Luftmassen wie jetzt um ihn zeigt das – da ist er der einzige, sie sind eine Masse: sie flüchten sich in ihr Dach, sie drängeln sich.

Der nächste Baum reicht seine Äste und ich sehe in die Lücken, die postiert sind von den Stämmen um die Pfosten des Turmes, welche nach oben merklich aufeinander zugelaufen sind. – Ich halte mich auf.)

Fast alles ist jetzt unten.

Aber noch sind dem, den ich nicht sehe, von innen, die Pappeln Parallelen. Selbst in der fernsten Weite, aus dem unpersischen Teppich der Häuser und anderen Bäume heraus stehn die Pappeln gegenüber. Aufstieg: Allmählich legen auch sie sich in die Wiese des Waldes.

(Jemand hat den Turm gekippt; muß ihn angekippt haben: Die Ameisengänger können unter ihm verschwinden.) – Wird er ihn nun wieder gerade-stellen?)

Die Wälder der Ferne sind schwarz. Die Häuser bleiben weiß; oder grau, steinfarben und rot. Schornsteine häufen sich zu Linien. Ob die Berge eine entfernte Wand werden, aus der Ebene herauf? (Wie sie unten im Turm verschwinden von oben: Nun werden sie steigen. Sie werden kommen und bald stehen. – Oder sie bleiben bei ihrem Gewimmel.) Die Berge am Horizont sind ein Verlauf.

In der Tat: „Es dauert nicht lange: oben zu sein.“ – Unter dem Fundament verstehen sie nichts. Manche müssen sich panisch fest halten, mit den Händen nach beiden Seiten am Geländer. (Sie sind am liebsten eingespannt.) Der Abstieg wird schwierig sein, entgegen diesen ausgebreiteten Armen.

(Was bedeutet der Abstieg, wenn Aufstieg alles sonst Stehende, selbst die Pappeln ver-flachte? – Steht am Fuße des Turmes ihre erneute Anerkennung bereit, die sie aufrichten muß?) Die Bäume halten mir wieder ihre Blätter vor. Die Schwärze der Wälder geht unter, indem Näheres hell herantritt. (Fast wird alles zur Birke.) Eine Kastanie bietet ihre Kerzen an. Eine Platane weiter unten baumelt herein. Es wirkt sich aus, daß der Wind nicht mehr den Geruch wegträgt: Oben betrifft die Luft als Wind den ganzen Turm, um den sie geht; unten schiebt sie seinen eigenen Duft herein, der ihm die Jahre schützt. Oben brauchten die Bäume den Wind für ihre Bewegung. Hier steht alles still beeindruckt von der breiten Basis. – Hier auch endet die Sichtbarkeit der Bäume.

                   *

Erinnern wir uns: Er sah plötzlich, als er dort oben stand, die Höhe, und er war überrascht, daß er hinab wollte. Er stand. Dann stieg er wieder hinab.

Axel Dielmann

Neuheit: Drei Generationen Goetheturm. Keinesfalls entgehen -steigen -eilen lassen:

http://dielmann-verlag.de/de/content/Lippemeier/~nm.18~nc.57/Gesamtliste.html

Hölderlin und die Frühromantik

© Ewart Reder

Ein Sendetipp von Radio X, Ffm:

Mittwoch, 2. Juni von 15 – 16 Uhr

WortWellen

Noch einmal ist Hölderlin zu Gast bei den WortWellen. Wir dokumentieren eine Veranstaltung der Frankfurter Hölderlinwoche im September 2020, –  die ein Monument des VeranstalterInnenmuts vor der dritten C19-Welle war, Hoffnungszeichen für einen wiedereinsetzenden Herzschlag der öffentlichen Kultur. Professor Luigi Reitani, Universität Udine, fragt nach frühromantischen Beziehungen des Solitärs Hölderlin. Wer das für ein akademisches Thema von gestern hält, dem hält Tim Leberecht in der Süddeutschen Zeitung vom 14. September 2015 Folgendes entgegen: „Die total technisierte Gesellschaft braucht Romantik. Mit Algorithmen und Apps wollen wir unser Leben verbessern. Doch dieser Optimierungswahn entzaubert unsere Welt.“ Es sei denn, wir erleben folgendes Kunststück: Ein Gelehrter, der unsere Sprache wie blank geputztes Tafelsilber benutzt, rückverzaubert uns mithilfe des Verstandes.

Ewart Reder

Naturkundemuseum

Text und Bild: Ewart Reder

Exkursionen in die Höhe

Türme

1. Teil

Sinai I

(für meine Eltern, Heidemarie und Armin Dielmann)

Kann ich mir vornehmen, vom Turm zu lernen? – Ich bleibe bei den Dingen: Heute drücke ich mich wieder (und wieder) in die Kissen; die vielleicht weniger Dinge sind, weil sie weich sind?

                                      *

Die Dächer der Hochhäuser sind verschlossen, man kann nicht ausschauen gehen von ihnen. (Ich habe mir die Exkursion der Höhe vorgenommen.) Nie ist man oben. Vielleicht erscheinen sie deshalb kaum als Türme. Und man geht darin um, nachdem man in einem winzigen Raum hinauf gelangte in unbemerkte Höhe, und man geht zwischen ihnen in der Tiefe entlang, auch wenn man eben innen lange hinabgefördert wurde. – Die Hochhäuser unterliegen also zwischen Gängen und Erledigungen.

Ebenso der Kirchturm in seiner lautenden Punktion. Das Wort hat keine Höhe, als seien alle Kirchtürme aufgesetzte Abbilder vom fett thronenden Turm einer gedrungenen Wehr-Kirche. – Sind Burg und Turm ein offeneres Paar? Bleibt der Turm hoch, nachdem seine Burg keine Funktion mehr hat?

Man sollte es meinen, wenn man hinauskommt, über Land, und nach der atembenehmenden Anhöhe des Burgbergs noch einmal Ersteigung vor sich hat, noch steilere: Senkrechte. Aber als Ausflugsziel ist er ungenutzt. Stehen ist unnütz im „Aussichtspunkt“, auf den flachen Wanderkarten der Sonntage. (Die Liebe zum Einblick in die eigene Herkunft feiert Feste, auf Burg Königstein, und Eppstein und Falkenstein, die Ablaufuhren der Hammerschlagrohre teilen die Aussicht in überschaubare 10-Pfennig-Augenblicke ein. (Die Automaten müßten überlaufen von den weitsichtig investierten Münzen, soviele Filmehen lassen sie ablaufen:) Ein Motorrad fährt ohne Ton die nahe Landstraße ab, am Bergrand gegenüber steht ein Hirsch im Wald, drüben schlägt es lautlos Zwölf, und manche sind ganz benommen von der tuba magica, daß sie einige Pfennige verticken lassen, um über das Fernrohr hin die Kulisse zu vergleichen.)

Noch ärger schon vorher: Ein Stäbchen vom Ufer, von den Graten der Weinberge ganz in die Wasser-Ebene geduckt, wird ein ungeübter David nach der Größe des Verfehlten genannt: der lächerlichste Mäuse-Turm. Das bißchen inselhafter Freistand an einem Fels, der sich dank einiger schaumiger Strudel als Riff gibt, aber umströmt wird um und um bis in die Beruhigung der Dampferfahrten. Höhe heißt hier nichts, eine Boje hat mehr davon. Winzige Tiere die durch Höhlengänge kriechen – Mäuseturm; was sollte da ragen. (Man behilft sich gerne vorläufig mit einer windigen Fahne.) Aber es scheint durch, wie uns das Höhlenhafte näher liegt denn Höhe. (Wird es mir noch einfallen: welche Erfindung verbindet diese Tiere mit dem Turm?) Wir machen noch immer alles zur Höhle. Selbst die Nacht. (Selbstverständlich auch ihre mystischste Verlängerungen, die Gräber, denken wir so. Das kleine Ragen am beigelegten Kopf-Ende ist begrenzt oben durch den Querbalken, der schon immer zum Sichhängenlassen daran war.) – Kein Aufstieg ist möglich!

                                      *

Ich war weggegangen aus den Wänden, um den Turm zu sehen. Ich ging. Die Oberarme nahm ich angewinkelt an den Körper und ich hätte gerne aus der Enge heraus geboxt. – Ich laufe. Über die Straße gelange ich hinaus, steil führt sie aus dem Tal, wo der Turm noch mehr steht. – Auf welche Höhe lasse ich mich ein?

Die Langsamkeit der Landschaft überholt mich; daß heute Sonne ist, Helligkeit, ein Frühlingstag mit Vogelstimmung, einem Grabstein, aufgeklebt ein kleiner Zettel, wie ein amtlicher Paketschein „Grabstätte ungepflegt“, den der Stein nicht einlöst, mit Schmetterlingen, einer Bank unter fast blauem Himmel: und ohne diesen Zuschuß? Sähe ich die Dinge ohne das nicht? Nicht so deutlich? Brauche ich die Farben, das Licht für die Dinge? Saugten sie mich nur damit ein?

Jedenfalls stehe ich dem Baum gegenüber. Das sage ich mir: Dem Baum gegenüber stehe. Der Kiefer. Wenn ich mich jetzt setze, bleibt sie in der Wiese. Ich sehe: Im Setzen geht der Blick unter.

Ich sitze. Ich komme ab.

                                      *

Die kleinen Anläufe. Auf halbem Weg, einer Buche voran, steht ein Steinkreuz. Die Buche ließ man wachsen, weil davor einer liegt; ihm beigestellt die Buche. (Und sie traut sich erst oben über die kleine Fläche, unter welcher er liegt, hinaus.) Das steinerne Kreuz selbst ist eine kleine Fläche, mannsschulterbreit; sie steht noch aufrecht mit ihrer häufigen frühen Jahreszahl. – Nichts, das sie davon sagen könnte, läßt die Buche nicht wachsen.

                                      *

Warum der Turm? Ich hatte doch im Gras gelegen; Blick also nach oben. Was habe ich gesehen? Ich erinnere nichts, das ich gesehen hätte. Ich habe gelegen wie im Grab. Den Turm habe ich nicht erreicht.

Axel Dielmann

Eins und heilig

© Ewart Reder

Und ich glaube:

Wir sind eins

und wir sind heilig.

(Xavier Rudd)

Womit ich eigentlich nur auf den nächsten Post hinweisen möchte:

„Gesang der weißen Wände“ (Kornelia Boje)

Ewart Reder

Ewart Reder

Gesang der weißen Wände

Kornelia Boje liest aus ihrem Roman GESANG DER WEIßEN WÄNDE, begleitet von Douglas Vistél (Cello) und Almuth Krausser-Vistél (Klavier) …

Die Nachmittagsfrau

Sendetipp von Radio X, Ffm:

Mittwoch, 5. Mai, 15 – 16 Uhr

WortWellen

Heute kriegt unsere Sendung Besuch von einer etwas merkwürdigen Frau. „Die Nachmittagsfrau“ nennt sie sich, behauptet, die Redaktion zu kennen. Darum dürfe sie im Radio sprechen und genau das hat sie heute vor. Wir sind schon etwas nervös. Aber wir lassen uns drauf ein. Schließlich sind wir eine innovative Literatursendung, da darf so was mal passieren. Seid mit dabei – dann sind wir nicht so allein mit dem Unerhörten! Entfernte Ähnlichkeit hat „die Nachmittagsfrau“ übrigens mit der Bamberger Schauspielerin Rebekka Herl (s. Foto), die im Sommer – Corona willing – ein tolles Stück mit auf Tournee nimmt: Emmas Glück. Näheres erfahrt ihr hier: https://theatersommer.de/programm/schauspielundkomoedie/emmas-glueck

Livestream des Senders: radiox.de/live

Ewart Reder

Der Globus

Der leicht geneigte Globus
auf ihrem Schreibtisch
weist mit dem Pazifik zu ihr
Nur die Schwerkraft hält noch seine leisen Wasser
knapp über ihrem Laptop
zurück
Fragte mich schon immer 
wie sie das aushält   all das Blau Türkis Blau
nur unterbrochen von den dünnen Narben
der Tiefseegräben
Wie sie das aushält 
Beim Schreiben

Hinter dem Globus die dichten Gardinen
die Netze von Spinnen
mit Eintagsideen darin
© Tanja Dückers

ich bin illegal

Für Jan Josef Liefers
Die erste Nacht
der Bundesnotbremse
ist eine helle Mondnacht.
Da bin ich draußen
und nicht nur ich
der Mond und alles
was draußen lebt.
Ich bin ein Waldanwohner
aber die Stadt
hinter dem Wald
ist auch Wald.
Ewart Reder

Die Suche

Angst springt ins Wasser
und ersäuft
Sie springt aus der Flut
schleicht an Häusern entlang
kratzt an einer Tür
schlüpft durch die Katzenklappe
Joachim Durrang

Nachts

Nachts irren schwarze Raben durchs Schwarz
Der Mond ist ein Feuerzeug
glüht auf
bläst den Rauch einer
schwarzen Wolke aus
In Häusern bewegen sich Körperschatten
Es sind Träume
Joachim Durrang

Bilder

Die Nacht ist eine Pause zwischen Atemzügen
Ich sank aufs Bett schlief ein
erwachte stand auf
Aus dem Bildschirm trommeln
Bildskizzen ins Zimmer
Die Trommel bewegt den Tänzer
Im Daumenkino
springt er von Bild zu Bild
Joachim Durrang

Ich bin Hannez. Ich bin Hass.

Auszüge

1)

„Hannez“, sagte ich behutsam. Wiederholte seinen Namen so lange, bis ich ihn gar nicht mehr mit ihm verband. Seltsam, wie sich ein Wort verändert, wie es an Bedeutung verliert, wenn man es nur oft genug wiederholt.

Er stützte sich auf die Umrandung des Balkons, von dem aus man in viele verschiedene Gärten schauen konnte. Jeder Garten mit seiner eigenen Familie.
Sein ganzes Gewicht schien er darauf zu verlagern und ich konnte mich nicht dagegen wehren, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn das Geländer ihm nicht standhalten könne. Aber das konnte es.

Meine linke Hand ruhte sanft auf seiner Schulter, doch er schien sie nicht wahrzunehmen. Überhaupt schien es mir, als wäre er unerreichbar. Das Gesicht verbissen nach vorne gerichtet, die Augen starr und weit geöffnet, der ganze Körper zitternd, obwohl die Sonne auf uns niederbrannte. Er stöhnte manchmal ganz leise, als sei es ihm zu anstrengend überhaupt zu atmen.

„Hannez.“ Es tat gut gegen die Stille anzukämpfen, denn wenn es still ist, gibt es keine Grenzen für Gedanken. Ich habe die Abwesenheit von Geräuschen noch nie gut aushalten können. Er hingegen mochte es. Stundenlang konnte er in völliger Stille dasitzen und ins Weite schauen, als würde sich dort plötzlich etwas Wunderbares sehen lassen, wenn er nur lange genug hinschaute. Ich bewunderte ihn dafür.
„Ich habe sie getötet.“

Der Ausdruck seiner Augen hatte sich urplötzlich verändert und alles an ihm wirkte plötzlich weich und zerbrechlich zugleich. Die Sonne veränderte die Farbe seiner Haare, durch die der Wind wehte. Sie bewegten sich, in einem warmen Goldton glänzend, geschmeidig und leicht im Wind. Unbeschwert. Sein Gesicht war Schauplatz eines grandiosen Spiels von Licht und Schatten geworden und seine Wangenknochen boten tiefe Furchen. Es war schwer sich gegen seinen Blick zu wehren, aber noch schwerer war es, ihn zu ertragen. In diesen kleinen Universen lag so viel Schmerz. Mehr noch musste sich dort alles Negative versammelt haben.
„Alles ist gut. Es ist nicht deine Schuld.“, flüsterte ich. Mein Kopf lag mittlerweile an seinem Hals. Das leichte Hämmern seiner Halsschlagader wirkte beruhigend auf mich. Das tat es immer, auch wenn ich nicht einschlafen konnte. Vielleicht lag es daran, dass es ein Zeichen von Leben war. Und wenn man lebt, geht es weiter, oder? Irgendwie.
Er schüttelte in unregelmäßigen Abständen den Kopf. Vielleicht um stumm meiner Aussage zu widersprechen. Vielleicht um die schlimmen Bilder zu verjagen. Vielleicht auch nur um überhaupt etwas zu tun. Es ist schwer ruhig zu stehen, wenn innen der Krieg tobt.

„Hast du ihre Augen gesehen?“

„Sie waren zu, Hannez. Sie beobachten dich nicht mehr.“

 Mit meiner rechten Hand drückte ich seinen rechten Arm. Ich wollte ihm zeigen, dass meine Kraft für uns beide reichen kann.

2)

„Weißt du, ich habe dich nicht darum gebeten mir zu helfen.“ Ich war kurz davor ihm den Schuh, den ich gerade in meiner riesigen Tasche verstauen wollte, an den Kopf zu werfen, aber noch lächerlicher würde ich mich bestimmt nicht freiwillig machen. Es war schon schlimm genug, dass ich hier geschlafen, gegessen und mit ihm gesprochen hatte.

 „Jetzt hör auf. Diese Eitelkeit wird dich noch umbringen.“ Er stand mit verschränkten Armen in der Tür, während sein skeptischer Blick über mein Gesicht wanderte. Mir graute es vor dem, was er da sah.

„Dann ist das eben so.“

„Es war nicht so gemeint. Du solltest doch bloß besser aufpassen.“
Ich verstand. Er dachte allen Ernstes, es würde sich so einfach wiedergutmachen. Mir zu sagen, dass es nicht so gemeint war, nahm mir aber leider nicht das bittere Gefühl, dass er versuchte mich zu bevormunden.

„Ich bin nicht dein Kind, Hannez. Verstehst du das? Du kannst nicht einfach entscheiden mit wem ich mich treffe und was ich draußen mache, solange ich all das von euch fernhalte. Aber wenn dir das nicht reicht, dann gehe ich. Kein Problem. Ich finde schon was und dann komm ich ohne euch klar.“

„Tust du das?“ Er ging auf mich zu. „Tust du das wirklich? Klarkommen? Vor zwei Wochen klang es so, als hättest du andere Pläne, als ihn wieder zu treffen. Du wolltest schreiben, erinnerst du dich? Und du wolltest mit beiden Beinen ins Leben zurück, damit du Samantha irgendwann wieder sehen kannst. Das war dein Ziel, oder nicht? Wieso gibst du das so leichtsinnig auf.“

Vorsichtig, als könnte ich ihn beißen, sollte er sich zu ruckartig bewegen, nahm er mir das übergroße Shirt aus der Hand, dass ich gerade einpacken wollte. Meine Finger hatten mit einem Mal keine Kraft mehr es festzuhalten.

„Lass sie da raus!“, zischte ich nach ein paar Sekunden unter Tränen. In so kurzer Zeit wusste er bereits, wo meine Schwachstelle lag. Genau genommen hatte ich sie ihm auf dem Silbertablett serviert. Und nun nutzte er sie.

„Wieso tust du das?“

Er betrachtete mich wie einen verlorenen, einsamen Welpen im Tierheim und mit jeder voranschreitenden Sekunde fühlte ich mich mehr so, als sei ich das tatsächlich.
„Irgendjemand muss dir doch helfen. Und im Grunde willst du das auch.“
Irgendjemand. Nur nicht meine Familie. Die Wut kehrte in meinen Körper zurück und hinterließ ein Gefühl platzender Adern. Ich musste mich konzentrieren um nicht laut loszuschreien. Es wäre kein Wort gewesen, was durch den Raum geklungen hätte, sondern einfach nur ein Schrei voller Wut.

„Kannst du bitte wieder auspacken, oder willst du fortan aus dem Koffer leben?“
„Bitte was?“

„Du wirst hier nicht wegkommen. Wenn du es darauf anlegen willst, sperre ich dich ein. Es liegt bei dir.“

Er klang wie mein Vater, den ich in meiner Fantasie nächtelang geformt hatte. Streng, beschützend und immer mit dem Gedanken mir zu helfen. Plötzlich kämpfte ich nicht mehr gegen die Wut an, sondern gegen die Traurigkeit. Gegen die Sehnsucht nach einem Menschen, den ich nie kennenlernen durfte.

„Ich lasse dich dann mal allein.“

„Warte, nein. Du kannst mich doch nicht einfach so gefangen halten. Du sagtest vorhin, es war nicht so gemeint.“

„Es war auch nicht so gemeint. Aber ich hatte dich zu diesem Zeitpunkt vernünftiger eingeschätzt, als du es in Wahrheit bist.“

Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Doch er schloss ohne ein weiteres Wort die Tür hinter sich und ließ mich mit meinem Chaos allein.

3)

David war heute gröber als sonst. In seinen Augen schienen sämtliche Adern geplatzt zu sein. Die Kraft, mit der er mich gegen die Wand drückte, war enorm und seine Hände schienen unkontrolliert ihren Willen durchzusetzen. Seine Art ließ die Alarmglocken in mir schellen. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass er sich beherrschen konnte, wenn es sein musste. Das war etwas, das ich aus Prinzip nicht ausstehen konnte. Ein „Stopp“ würde immer ein „Stopp“ bleiben und ich legte großen Wert darauf, diese Regel zu bewahren. Denn anders, als viele dachten, gab es auch bei mir gewisse Grenzen.

„Langsam!“, zischte ich deshalb in sein Ohr. Doch seine Hände an meinem Hals übten nicht weniger Druck aus als zuvor. Das Blut pochte bereits in meinen Ohren und löste ein Rauschen aus, dass sich schwer ignorieren ließ.

„Ich sagte ‚langsam‘!“, wiederholte ich etwas lauter. Aufsehen zu erregen stand eigentlich nicht auf meinem Plan und eigentlich wäre ich sowieso lieber irgendwo gewesen, wo uns vier Wände umgeben, doch er sah das anders und in den meisten Punkten machte er die Regeln.

„Klappe, Schlampe.“, flüsterte er zwischen nassen Küssen auf meine Wange und mit einem Schlag realisierte ich, dass er meine Worte als Teil unseres Spiels verstand, weshalb ich stärker versuchte, mich von ihm zu lösen und dabei letztlich „Stopp!“ sagte.
Wie befürchtet ignorierte er auch das.

Gerade als ich zu einem Schrei ansetzen wollte, in der Hoffnung er würde vor Schreck von mir ablassen, packte ihn jemand am Kragen. Ich konnte mich wieder bewegen, doch schon eine Sekunde später war ich wieder wie gelähmt. Der Mann, zu dem die Hand gehörte, die David wegzerrte, war der Anzugträger aus dem Backstone.
„Was zum Teufel machst du hier?“, fragte ich mit einem Anflug von Ärger in der Stimme. Ich war der Meinung ganz gut auf mich alleine aufpassen zu können.
„Ich bin Hannez. Nicht der Teufel. Komm, wir gehen.“

Ich schaute in Davids Richtung, der uns bereits den Rücken zugewandt hatte und verschwand. Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte ich dem Mann, der jetzt auch endlich einen Namen hatte. Hannez.

„Warte mal. Wieso genau laufe ich dir jetzt hinterher? Und wohin gehen wir?“
Statt einer Antwort bekam ich seine Zigarettenschachtel unter die Nase gehalten.
„Danke, ich habe selbst genügend.“

Wir rauchten schweigend und gingen durch eine Straße, die ich nicht kannte.
„Wieso tust du das?“

„Was?“ Mein Verlangen mit ihm zu reden hielt sich plötzlich in Grenzen. Vermutlich lag das daran, dass ich mich in meinem Stolz verletzt fühlte. Oder vielleicht kannte ich es einfach nicht mehr, dass man mir half. Wie auch immer.

„Er war nicht nett zu dir.“

„Das ist ja der Sinn der Sache.“

Ich sah seinen Blick ganz genau, auch ohne das ich hinsah. Und noch während ich überlegte, wieso ich ihm doch Antwort gab, sagte ich: „Ich steh drauf, okay? Aber er hat es übertrieben. Ich mag es nicht die Kontrolle zu verlieren. Jedenfalls nicht endgültig.“
Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht mit einem simplen „Okay.“

Es war wieder still. Am Himmel sah man einige Schleierwolken, die die Sterne verdeckten.

Vanessa Verzay

Exkursionen in die Höhe

Türme.

11. Teil

(Sineu, Mallorca, Elektromast, ca. 1986)

Die Wiederkehr des Steins legt mir nahe, daß die Türme mir mehr zu sagen haben als Höhe.

(Mast: Worin die ehemalige Mauer ihren Vorgänger habe, ist die Schwierigkeit seines Vor-Gangs.) Aber die Liste des Steinigen bleibe unvollständig – Nuraghen, Talayots, Navetas, Zikkurats und fast eindimensionale Taulas – ohne das Räumliche, in welches die Höhe der Türme führte; (Ich begreife die Vergangenheit der Dinge, aber ihr Begriff öffnet sich zu weit;) es scheint sinnvoll, das Hinaufreichende zu sammeln: (eine Unendlichkeit von Dingen.) Kleines Kompendium also (die jede Gegenwärtigkeit übersteigt.) der Mäste.

Der reine Luft-Turm. Nur ihr gemacht, ragt er in sie, geleitet sie (in sich) in sich. Heiße Luft mischt er in kühlere, rußige in saubere; (Medium, das das Sprechen im Graduellen unterrichtet:) sauberere.

Ein Papier könnte man nicht in ihn hineinwerfen, so viel Luft steigt empor, mit solcher Geschwindigkeit. Sie reißt alles mit sich;  (Wer stürzte darinnen?) die am meisten Fahne ist, (wer ließe sich unten hinreißen?) wenn sie sich oben verlangsamt, (wie fern muß man sich ihrem Einzugsbereich halten?) und an der Sptze des Schornsteins verweht. Sie ist die luftigste Fahne, und die dünnste: die Rauchfahne. (Von ihrer Gefährlichkeit büßt die Gattung nichts ein.) – Hier ist das eine Ende des Schornsteins.

Aber weiterreichender Brunnen-Turm. Über einen Heizkessel bis in die Wolken der Luft verzweigt von einem Tank aus mit seinen Leitungshöhlen. – Wie weit in ihn hinab schaut, wer oben ankam an der Sprossenwand seiner Steigeisen? – Keiner schaut auf den Grund der Röhren.

Niemand, ob er hinaufstieg oder unten blieb, sieht das Ende der sich verdünnenden Luft.

Der konkrete Mast. Seine Verdingungen sind dünn, aber aus Metall; sie reichen ebenso weit, sind aber eindeutiger ausgerichtet: (Welche Indizierung wird die Dinge nach dem Maß ihrer Verwurzelung und Verzweigung ordnen?) Der E-Mast.

Das Metall seiner Leitungen und der Stahl seines leicht zulaufenden Grüsts sind seine Komponenten. (Elektro-Mast.) Ganz klassisch sind sie aufgetragen an zwei Achsen, die im rechten Winkel zueinander stehen. Die Höhe der Hoch/Spannungsleitungen über diesem Landstrich. Der Schnittpunkt beider ist markiert von Porzellan. Bei Tag glänzt es kalt und weiß, seiner neutralen Funktion des Isolierens gemäß. (Ich werde die Nacht abwarten, um unbehelligt von Passanten der nahen Landstraße hinaufzusteigen.) Hinaufzusteigen heißt: an den Verbindungspunkt gelangen, den ich aber nicht berühren werde. (Worin liegt die Faszination dieses Mastes?)

Die Höhe ist durch die quergespannten Drähte oben begrenzt, wie abgeschlossen und überdacht von einem Dach schmalster Latten. Ist es die Einsamkeit auf der hochgelegenen Spitze (Das Bild ist alt, und die weiße Isolation war immer ersehnt darin.) oder ergänze ich nur mein Kompendium durch die Klettertour in den Schnittpunkt der Metalle? Indem ich dem Erlebnis seiner Höhe die Nacht zuordne, ist dieser Mast typisch für die Geometrie der Türme, welche Abwesenheit von Menschen meinte.

Dieser Mast ist nicht nach menschlichem Maß gemacht; die Höhe seiner Verstrebungen, die im Zickzack wechselnder Diagonalen die vier Pfosten zueinanderhalten, erfordert kaum noch mögliche Kletterschritte. Die dünnen Winkeleisen schneiden in meine Sohlen fast ein. Meine Knöchel schmerzen schon nach 4 Stiegen, da sie eingeknickt sind und ich in die Ecken der Streben rutsche mit jedem Ruck, den ich nach oben Anlauf nehmen muß. Dadurch ist mein Vorgehen konzentriert auf meine Hände und Füße. (Auf allen Vieren komme ich voran in die Höhe.)

Die Mitte etwa ist heikel, die halbe Höhe. Ich bin am Mast. Er hat keine Einrichtung, nicht einmal jene einfachste aus Treppen. (Er ist reine Ausrichtung.) Ich drücke mich unter seinen Armen (, die sich nach oben verbinden) an das offene, vierbeinige Gerippe über der dunklen Wiese (, aus der er sich erhebt): Ich bin ihm Wand. (Die Tautologie jeglicher Ortsangaben!) Unter diesen Armen, die sich oben verbinden, ruhe ich über der dunklen Wiese, aus der er sich erhebt, aus. Das runde Schild »No tocar. Peligro de Muerte« habe ich unter mir. Ich steige weiter.

(Gehört die Erfindung der Geometrie in die Nacht? Einer, ihr Erfinder, und die Dinge, sonst nichts?)

Das Singen des Stromes höre ich, sein Brasseln. Ein leises Knattern in der Nacht, wie hochgelegene Grillen. Die Sterne sind auch weiter oben nicht zählbar. Der Strom tanz. No tocar.

Unter mir hat die Höhe keine Tiefe mehr. Nacht: nur das Land wird flach, über das ich hinsehe, in die Dunkelheit. No tocar.

Und ich schlage an. An den abstehenden Armen des E-Mastes bin ich angelangt, ganz oben. Und wieder ist die Höhe ein kurzes Erlebnis, da es den Abstieg erwartet. Das Greifbare entzieht sich. No tocar.

(Geometrie war eine neue grundlegende Fassung des Bezuges.) Ich bin aus der Ebene hinaufgestiegen am Mast; ich werde vom Mast herabsteigen auf die Ebene. – Die Tautologie jeglicher Bewegung, die immer Relativbewegung ist, ergibt sich mit der Zeit.

Axel Dielmann

Mein Malle

Ein Siebentagebuch.

Karsamstag

Ich bin auf Mallorca. Habe ich geahnt, dass dieser Satz einmal klingen würde wie die Selbstbezichtigung des Angeklagten in einem stalinistischen Schauprozess?

Ich bin abtrünnig. Ich mache etwas Anderes als alle.

Nebenbei, zur Beruhigung: Ich schreibe auch keinen Reiseblog wie alle. Ich reflektiere. Auf dem Fahrrad beim (in Spanien derzeit verbotenen) Nachtradeln. Und am mitgeführten Laptop in meinem Zimmerchen mit Blick auf den Hafen von Palma.

Denn da bin ich: in Palma. In einer Stadt. „Mallorca“ mit seinen Assoziationen von Biereimer über Rennrad-Strampelanzug bis zu Finca-fingiertem Dauersonnenbrand ist von mir noch genauso weit entfernt wie in Frankfurt.

Ich schreibe auch nicht viel, versprochen. Dazu bin ich nicht hier, dass ich mache, was ich immer mache, schreiben. Ich wollte, musste weg aus dem Leben, das ich führe, und wenn nur für eine Woche. Hier auf dem Blog sieht das trotzdem viel aus. Ja, liebe Kolleg:innen, alles eine Frage der Relation. Dann beschreibt halt ihr mal etwas ausgreifender die gemeinsame Bildschirmrolle!

„Viel schreiben“ – was ist das heute? Mehr als eine WhatsApp-Nachricht? Überhaupt noch den Mund aufmachen im Kopf?

Hergeflogen mit lauter frisch Gestesten. In eine Stadt mit Sieben-Tage-Inzidenz (letzte Zahl vor dem Abflug) siebzehn! Sieben bis zehn mal weniger als da, wo ich lebe. Was sich leider ändern dürfte, und zwar nicht durch die Touristen. Alle Draußenlokale (heißt auf Mallorca: alle Lokale) haben geöffnet. Weil sie um 17 Uhr wieder schließen müssen und die meisten Mallorciner:innen da noch arbeiten, drängelt sich alles in den kurzen Pausenzeiten und am noch kürzeren Feierabend in dieselben Fressläden. Keine Masken beim Essen führt mittlerweile zu wenig Masken in jeder Art von Gedränge: Schlechte Angewohnheiten werden einem angewöhnt. Dazu kommt die übliche Tragik von Missverständnissen: Weil man lange keine Probleme hatte, wird man sorglos – und schafft sie sich.

Carmen, eine Ecuadorianerin, die in Palma lebt, erzählt, wie sie seit ihrer Einwanderung jede Woche von irgendwem kontrolliert wurde, weil sie Ausländerin ist und so aussieht. Heute kontrolliert sie jede Woche irgendwer wegen Corona. Es ist dasselbe für sie. Ich frage mich: Welches Vertrauen haben Regierungen vor Corona bei den Bürger:innen aufgebaut? Es wäre das Kapital, mit dem sie heute arbeiten könnten. Carmen lebt, als gäbe es Corona so wenig wie den Unterschied zwischen ihr und den Einheimischen. Der frei erfunden ist.

Der Flug war übrigens überwältigend. Ich fliege nicht oft; hätte ein Zug mich irgendwohin gebracht, von wo ich als Rückkehrer nicht in Quarantäne gemusst hätte, wäre Mallorca in meinem Kopf ausgeschieden. Aber nun, ich bin geflogen. Die Sonnenseite der Wolken sehen heißt lachen über den dunklen Ernst, mit dem sie auf uns Milliardenfüßler herabblicken.

Und Palmen sehen. Und Pinien. Die Natur hat wieder eine Konzentration oberhalb von gefällig.

Ostersonntag

Das Meer wartet zehn Minuten auf mich, wenn ich das Haus verlasse. Dann liegt es zu meinen Füßen, begrenzt von der Steilküste hinter Arenal auf der einen, von den Ausläufern des Tramuntana-Gebirges hinter Calamajor auf der anderen Seite. Dazwischen ist seine Offenheit entwaffnend wie immer. Einen Tag hat es gebraucht, um meinen Atemweg (es gibt nur einen, der Plural ist irreführend) vollständig freizumachen. Auch deswegen bin ich hier. Gesünder nach Hause kommen ist ein Teil der Rechnung, deren Gegenseite, das Reiserisiko, mir in Deutschland als die Gesamtrechnung verkauft wird.

Auf der Promenade von Palma höre ich viel Deutsch, das stimmt. Aber durch Masken gesprochenes, im Unterschied zu dem Frankfurterisch, in dem ein junger Mann am Telefon von seiner neuesten Prügelei berichtete: in dem voll besetzten Bus, der mich zum Frankfurter Flughafen brachte. Ich hätte ihn auffordern können, seine Maske aufzuziehen. Ich habe stattdessen an Mallorca gedacht.

Am Vormittag war ich in der Kathedrale. Die Ostermesse ging zwei Stunden. Ein veritabler Chor sang: durch Masken hindurch, wie der Videoscreen vor meiner Kirchenbank mir versicherte. Das Haus war voll, aber es ist groß. Und gotisch. Lässt den Luftraum über den Ausatmenden gegen unendlich gehen. Nach allen vier Seiten hatte ich zwei Meter Abstand von jeder und jedem. Was ich erlebt habe, findet keine passenden Worte in mir. Eine Freude kennst du nicht, Jesus: dich anzubeten in einem Ritus, der die Innenmaße frommer Menschen hat, woher auch immer. Wer wäre ich in diesem Moment, wenn ich das nicht erlebt hätte?

Einen Vergleich für das Erlebnis liefert mir noch der Heimweg. Die Orangen blühen. In Deutschland auch? Ich sitze in einer Anlage unter vierzig Orangenbäumen. Sie tragen und blühen gleichzeitig. Orangen mag ich, aber so ehrlich bin ich auch: Im Carrefour um die Ecke ließ ich sie liegen nicht nur, weil der Fünf-Kilo-Sack (für 2,50 Euro) der kleinsterhältliche war. Sondern weil mich ärgerte, dass es in diesem Lebensmittelhangar nicht einen einzigen Apfel zu kaufen gibt. Deutschlands Supermärkte führen Orangen: Punkt für Deutschland. Aber die Blüte erlebe ich nur, wenn ich um diese Jahreszeit Deutschland verlasse. Der Duft der Orangenblüte ist der Gottesbeweis, den meine mäkelige Nase vom ersten Zug an, den sie davon nahm (vor vier Jahren erst, in Andalusien), widerspruchslos anerkannt hat.

Ostermontag

Eine Stunde mit dem Bus nach Andratx, das geht, dachte ich, als ich zwei Minuten vor der Abfahrt des Busses mit zwei anderen vor der Fahrertür stand. Dann kamen vierzig Student:innen (?), stiegen mit ein und schrien sich in Abhängigkeit von ihrem Temperament eine Stunde lang heiser. Ich hatte gelesen, auf Mallorca seien Unterhaltungen und Telefongespräche in Bussen nicht erwünscht. Davon wusste hier niemand. Mir half die zweite OP-Maske, die ich sicherheitshalber immer dabei habe. Alles könnte ich auch zu Hause nicht kontrollieren.

Ich stieg auf den zweitkleinsten Hügel der Bucht von Andratx und sah mir alles von oben an (s.o.). Das Aufsteigen in ausgetrockneten Bachbetten empfehle ich gegen Ischiasbeschwerden. Die hatte ich mir kurz vor der Abreise gefangen, jetzt trat ich sie mit jedem Schritt, jeder passenden Gewichtsverlagerung aus dem Unterbau raus. Beim Abstieg trainierte ich die Knie, durch konzentriertes Avisieren und beherztes Treten der richtig ausgewählten Steine.

6. April

Nachmittags drei Stunden geschlafen. Dann bei löcherigem Stream Champions League geguckt. Die Telekom gönnt mir das „im Ausland“ nur widerwillig, ich muss meinen Personalausweis bereithalten, meinen deutschen Wohnsitz nachweisen. Dann noch mal siebeneinhalb Stunden geschlafen. Und schon wieder ein Neugeborenes. Wie viele Ausgaben von Erholung gibt es?, frage ich mich langsam. Ich habe seit einem Monat Schlafprobleme, die nicht so bleiben können. Die meine Energie auffressen. Abstand, Seeluft und eine mediterrane Dosis Eindrücke helfen dagegen.

Vorher mich einige Stunden müde gefahren mit einem Leihfahrrad. Nachdem ich damit den ersten Weg zum Miró-Museum nach Calamajor gemacht hatte, war der Schlüssel für das Fahrradschloss weg. Ich fuhr zurück in der Hoffnung, das Nerven aufreibende Ausfüllen des Leihvertrags bei Anhörung einweisender Worte des Verleihers hätten dazu geführt, dass ich den Schlüssel auf dem Tresen vergessen hätte. Fahrradkette! Nix wars mit der Hoffnung, mein Aufmerksamkeitsversagen auf andere Personen oder Umstände schieben zu können. Der Mann gab mir ein Schloss, zu dem der Ersatzschlüssel noch existierte – und einen Klaps auf den Oberarm für meine Zerknirschung. Wie mir das gefehlt hat! Die lächelnden Augen, an denen keine Maske einen Zweifel weckt. Und die kleine, körperliche Geste der Aufmunterung. Vor vierzig Jahren wohnte ich einen Winter in Barcelona. Mit so wenig Geld, dass ich für einige Wochen bettelte. Als Deutscher im Katalonien der transición. Nie wird mein Körper die Kniffe in die Schulter vergessen, mit denen Männer, die nichts hatten, was sie in meine Kappe legen konnten, ihren Unterstützungsbeitrag an mich entrichteten.

Nachtrag: Im Miró-Museum, zu dem ich ein zweites Mal fuhr (ich bin ein hartnäckiger Typ), verlor ich den Euro fürs Gepäckfach auf dem Weg von der Billetverkäuferin, der ich ihn stolz präsentiert hatte, bis zum Gepäckfach. Die Entfernung beträgt dreißig Meter. Ich traue der Seeluft mittlerweile fast alles zu. Bitte mach was gegen meine Verliersucht!

Nachnachtrag: Die Museen hier waren das letzte Jahr, außer an Montagen, keinen Tag geschlossen. Warum auch. Vor den kosmischen Schriftzeichen des späten Joan Miró stehen außer mir fünf Personen. In einer Halle so groß wie ein Impfzentrum.

7. April

Die Möwe bremst ab

schickt von meinem Sturmbalkon

ein Bild an dich

Man muss freilich die richtigen Bücher dabei haben. Früh gekauft und nie gelesen hatte ich António Lobo Antunes‘ Roman „Die Rückkehr der Karavellen“. Habe ich jetzt nachgeholt. Passt zu dem Buch, das ironisch späte Entdecken großer Entdeckungen. L.A. erzählt von den iberischen Exploratores und Conquistadores, die nach fünfhundert Jahren Scheitern in das Portugal einer anderen transición zurückkehren: das nelkenrevolutionäre der Siebziger. Was da gescheitert war auf ganzer welthistorischer Linie, muss ich denken, hat Deutschland nie versucht, bis es zu spät war und ein Jahrtausendmassaker aus dem Versuch werden musste, es nachzuholen. Deutschland hat nie etwas entdeckt vor dem Tuberkelbazillus und nie etwas erfunden vor dem Kunstdünger. Was keine schlechten Leistungen sind, wenn man sie richtig anwendet und ihre Grenzen mitdenkt. Genau das ist das Problem des Erfindens und Entdeckens: Grenzen sind angeblich nur, was ich zurücklasse, nie, was mich anschließend wieder konfrontiert. Nach neuerer sozialwissenschaftlicher Terminologie ist das der imperiale Lebensstil. Er hat vor fünfhundert Jahren begonnen und ist seitdem stetig einseitiger und statischer der Anspruch von Systemen, nicht mehr lernen zu müssen, sondern  „selbstlernend“ alles – konkreter ausgedrückt: die Natur – ihrem kindischen Anspruch zu unterwerfen. Mit der Digitalisierung als Schlussstein: Hinter den vorgehaltenen Händen kommt für das Kindchen bekanntlich nichts mehr.

Die iberischen Völker haben vor fünfhundert Jahren, mit dem ersten Tag ihres Triumphs, angefangen zu verlieren. Vierhundert Jahre Vorsprung vor Kaiser Wilhelms „Platz-an-der-Sonne“-Strandkolonie, den Deutschen. Unter anderem das macht die lässige Überlegenheit der spanisch- und portugiesischsprachigen Literatur aus. Denn L.A. schreibt alles, nur keine Soziologiekollegs. Das ist das pralle Leben, das übrig bleibt nach Abzug des Lebens und der Prallheit: wilde Träume und das langsame Aufwachen aus ihnen. Das sind der Machismo, die Gaunerei, die Kolonisierung der Frauen anstelle der abspenstigen Länder, das Glücksspiel mit dem Geld, der Gesundheit, den unversieglichen Traditionsvorräten. Mit nichts anderem haben die Eroberungen begonnen. Auf jene Dinge reduziert sich im letzten Akt ihre Tragödie, als Satyrspiel. Die Frauen in diesen Breiten haben wenigstens einen Ersatz für das Leben, das ihnen geraubt wurde: mittelgute Unterhaltung bei den Eskapaden der Männer, ihren wirren Wegen durch den Spielpark des Selbstbetrugs, ihrer kultischen Verehrung der Schönheit, den Schmeicheleien der weiblichen Eitelkeit als Beiprodukt. Was haben die deutschen Frauen?

Anmerken möchte ich, unbekifft notabene: Dieses Buch ist auch bekifft ein Lesegenuss – seltenes Merkmal seiner Art. Weniger als ein Promill der Bücher haben diese Eigenschaft. Da sollte sich mal ein Vertriebler bei S. Fischer drum kümmern: Zielgruppen fokussiert. Mal was Sinnvolles, das so einer arbeiten würde.

8. April

Barbara, eine zweiundvierzigjährige Tourismus-Nochangestellte, erzählt mir eine Buchgeschichte von hier. Sie wollte im Carrefour ein Buch kaufen, also mitnehmen. Das ging nicht, erfuhr sie. Sie müsse den Carrefour anrufen und das Buch bestellen. Sie rief die Nummer – dazu muss eins heute nicht mehr nach Hause gehen -, hörte das Freizeichen, drückte die Wahlwiederholung. Niemand erreichbar. Sie ging mit der Durchsetzungsfähigkeit einer Tourismus-Nochangestellten auf das Carrefour-Büro und fragte nach. Was sie machen müsse, beschied man, sei die Nummer des Carrefour anrufen und das Buch bestellen. Danach solle sie bezahlen und sich anschließend auf einen bergigen Fußweg um den Supermarktkomplex herum machen, wo sich eine Warenausgabestelle befinde. Bergig deshalb, weil der Carrefour eine Hanglage hat, direkt oberhalb des Pinienhafens. Dort werde ihr Buch auf sie warten.

Barbara guckt einfach weiter Netflix. Ich sehe beim Einkaufen das erste Segment, das der Carrefour mir präsentiert, mit neuen Augen: Es sind Bücherregale – in ein supermarktungewöhnliches Dunkel getaucht. Irgendwie steht es den Büchern.

Warum hat man das Buch – das hygienischste und kontaktärmste Vergnügen, das je erfunden wurde  – nicht vom ersten Tag der Pandemie an regierungsamtlich gefördert? Die Frage ist ernst gemeint und richtet sich an Frau Merkel und Herrn Bouffier, meine heimischen Regierungen. Eine Antwort werde ich genauso wenig bekommen wie Barbara auf ihre Frage nach einem Buch als Abwechslung zu Netflix.

Also gebe ich die Antwort selbst: Weil Regierungen die Beleuchtung sparen sollen für die wichtigen Segmente des allgemeinen Supermarkts. Sie haben den Hausmeister:innenjob in der Markthalle. Der Osterlockdown – Merkels beste Idee seit fünf Jahren, dafür wäre ich notfalls zu Hause geblieben – wurde abgesagt, weil die Wirtschaft die besseren Rechtsanwälte hat. Etwas fördern, das keine Aktien emittiert, wie das Buch, nur weil es menschlich ist, ergibt keinen Sinn für Merkel. Es hieße auch fremden Wesen vertrauen, die man in Interviews zwar „die Menschen“ nennt, über deren Bedürfnisse man aber souverän vor sich hin rätselt wie Eltern vor dem Affenkäfig, wenn die Kinder eine Frage haben.

Kultur oder Carrefour? Wir müssen uns entscheiden, was wir sein wollen. Diese Frage geht alle an und sie geht vor. Über Hausmeisterjobs und wer die machen soll kann man sich noch im September unterhalten. Hier ist mein Problem mit Angela Merkels Hassbotschaften gegen Mallorca: Sie hört „Mallorca“ und der komplette Film läuft ab: alle Vorurteile gegen Menschen, die sich gehen lassen und denen alles um sie rum egal ist, der Planet und die Menschen zuerst. Die also das machen, was die Regierungen ihren Bürgern unablässig einhämmern, was sie unermüdlich und erfindungsreich mit ihnen einüben. Jeder gegen jeden als Übersetzung von: Alles immer denselben.

Komisch: Ich habe hier viele Deutsche beobachtet, belauscht, studiert – mehr als kennen gelernt, das soll man ja nur eingeschränkt tun. Fast alle agierten sie vorsichtig, verantwortungsvoll und solidarisch.

Mein Fazit: Die Regierung hat versagt. Die Untertanen verhalten sich wie Menschen. Am Ende fangen sie noch an zu lesen (ich träume).

9./10. April

Womit ich sagen will: Seit einem Jahr lernt jede/r täglich Dinge, mit deren Anwendung sich die gemeinsame Gefahr in der Summe abwenden lässt. Eine demokratische Gesellschaft hätte diesen Prozess gemeinsam erlebt, unterstützt von gewählten Vertreter:innen. Sie wäre in Bewegung gecoacht worden. Wir saßen auf der tv-couch und beobachteten das eingefrorene Gehirn der Politik.

Aber man muss auch mal Glück haben mit seiner Regierung. Auf die Testpflicht für Rückflüge aus dem Ausland hatten die meisten Reisenden gehofft – sie kam in letzter Minute. Alle Flugreisenden müssten getestet werden. Aber immerhin. Der Flug klappt problemlos. In Palma wird mein Test genau kontrolliert. Sogar zwei Mal telefoniert wird seinetwegen. Bei der Ankunft kontrolliert die Bundespolizei noch mal. Ich bedanke mich artig und aufrichtig dafür.

Der Rest ist privat.

Ewart Reder

Gekürzt abgedruckt in Nummer 08/2021 der Zeitschrift Ossietzky

Clichy To Corfu

An Easter Tribute to Henry Miller
Musik: Chor des Klosters Hagia Maria in Paleokastritsa (Korfu), Ewart Reder
Bilder und Text: Ewart Reder

Herz oder Galaxie (Zugfahrt)

Als der Zug auf einmal
anhält und niemand
weiterweiß blicke ich auf
die Linien meiner Fingerkuppe
ein Strudel was will ich alles wissen
über mein Herz oder die Galaxie
Wie fremd man sich selbst an manchen
Körperstellen sein kann
Der Zug fährt weiter
langsam schneller
Der Strudel in meiner Hand gleicht einer Schatzkarte für Kinder
Wie schön die Geheimnisse die man nicht lüften kann
Der Strudel dreht sich um sich selbst
in der Mitte weiche Leere oder leere Weichheit
Fragen
müssen nicht beantwortet werden heute
© Tanja Dückers

10 Nächte

© Danica Schäfer

Dfferenzierte Betrachtung

Kapitalismus frisst.
Und scheisst.
Alles wird weniger.
Außer ihm und Ex-ihm.
Sein Wachstum heisst "Krebs".
Zitat: unser Totenschein.
Ewart Reder

© Danica Schäfer

Vorhersage

Verloren zwischen Wochentagen, die sich dehnend weit bis hin durch zur Zukunft schlagen, hänge ich zwischen tief dunklen Wolken, die alle scheinbar nur das eine meinen wissen zu wollen.
Ich versuche kläglich scheiternd kleinen sterbenden Träumen auf heftiges Drängen wenigstens den Ansatz wenig ausreichender Aufmerksamkeit zu zollen, denn die sich allmählich niederlegende Advektionsnebelschwade ermöglicht mir gemächlich schleichend einen Einblick hinter die fremde Bedürfnis Fassade.
Der Egomane hat in letzter Zeit kaum merklich schwindend über alles andere als stundenlang über die Gedanken seiner selbst und der ertrinkenden Begierden nachgedacht, doch wie man es irgendwo unter gewichteter Klamotten Lage an der sich deutlich zeigenden Gänsehaut erahnte, stapelten sich die Substanzen anderer Interessen trotzdem in seiner Kleinhirnspirale.
Man sollte sich nicht sorgen um die momentane allzu bekannte schlechte Wetterlage, warten wir doch noch ein paar weitere Atemzüge, bestaunen die Reise durch das zu erwartende Ekliptik Spektakel, auf das der Schleier sich legt und die Träume eines Selbst in der wärmenden Sonne, das kein einziges Mal mehr die trügerischen Interessen anderer vor seinen eigenen erwähnt.

Danica Schäfer

Tag des Schachtelsatzes: 25.2.

© Axel Dielmann

Ich bin der Welt abhanden gekommen

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh’ in einem stillen Gebiet!
Ich leb’ allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!

Friedrich Rückert

Karneval der Zahlen

© Ewart Reder

Was ist mit dem Karneval? Die Universität von Paris (Europas frömmste) entschied im 14. Jahrhundert, dass der Mensch eine Zeit braucht für das Unsinnige in ihm. Das Bild ist ein stummer Protest gegen den Übersinn und präsentiert jede der arabischen Ziffern (1 bis 9) in einer anderen Form (und Farbe). Rate die Zahlen und stoße mit dem Bild an.

_ Ecken eines verborgenen _ -Ecks (Zitronen deuten es an)

_ Kleiderbügel (und auch _ Kaktusblätter )

_ Gäste der Liegewiese

_ südliche Straßenbäume

_ Wellen einer Linie

_ Kaktusfrüchte (oder Zitronen)

_ Rosen

_ _ -Eck (verborgen, s.o.)

_ Flächen in Perspektive

Engel gegen emotionale Kälte

Bildvorlage: Giulietta Odermatt
Sprecherin: Angela Eickhoff
Text und Musik: Ewart Reder

Vieux Compagnon

On s’accroche autant qu’on peut

à l’espoir

notre vieux compagnon

Comme nous

il n’est plus très vaillant

même s’il s’entête à marcher

sans canne

à cacher sa main

quand elle tremble

Comme nous

jeté dans l’océan déchaîné

des atrocités

il arrive tant bien que mal

à garder la tête hors de l’eau

à ne pas perdre de vue l’horizon

à guetter l’oiseau messager

la voile salvatrice

Comme nous

il s’accroche

aux rares mains tendues

s’abandonne

à la musique

du désert inspiré

des oiseaux

faisant le bonheur des arbres

du cœur nu

caressé par l’aile de l’amour

Voilà pourquoi

et quoi qu’il advienne nous lui restons fidèles

Abdellatif Laâbi

The Frankfurt I Love

© Ewart Reder

Selbsterklärend schön

über sowas ein Gedicht

ist Zeitverschwendung

Mein Name und andere

© Ewart Reder

Über den Ostparksee geht der Blick weiter

in den Ostpark als ich je kam in diesem Park

der die Weite des Ostens hat. Fahrradampeln

aus Saigon würden hier bella figura machen

neben alten Damen die Nachtbeleuchtung machen

mit beigen Plastikmasken um klare Birnen.* Um

den See gehen Männernamen. Sie kommen aus

Frauenmündern gehen in Frauenohren und -unter-

leiber bereit zu verzeihen und das Gute zu sehen

für den Rest eines Frauenlebens.

Ewart Reder

__________

* Hommage an Hölderlin

* 1770

Hundertfünfzig Jahre Deutschland

© Ewart Reder

Umgekehrt wird ein Spaß draus.

Weiter lesen zum Thema: https://liternatur.net/noise-gate/#reichenreich

Arnim Reinert zum FÜNFUNDNEUNZIGSTEN

Heute im Wartezimmer

© Ewart Reder
© Ewart Reder
© Ewart Reder

Bettvorschläge

© Ewart Reder

WELTKULTUR-

ERBSCHLEICHE

© Ewart Reder

Langes Wort

für Neuestes Frankfurt

Grad noch.

Vier rote

© Ewart Reder
© Axel Dielmann

Apfelbaumfall

drehst dem Apfelbaum

männchen eine Locke eine

Nase eine Guß

kanalflöte ab weißt dich

in einem Gitter

bürstest die Stäbe ölst die

Kreuzstellen bist dir

in Bezug auf Armierungen

nicht sicher alles

gegeben der Apfel fällt nicht

weit vom Stamm liegen

bessere Früchte öffnest dich

ganz dafür bist ganz

weit unter deinem Baum beißt

in einen Apfel

Axel Dielmann

CHRISTMAS COLORS

© Ewart Reder

ALL THINGS LONG

TO BE HIS CHURCH

XP

SO KOMMT WÄRME

IN DIE WELT

Für Alicia

Wenn einer ein Feuer anzündet

das viele sehen

und der zweite anderen davon erzählt

die das Feuer verpasst haben

und die dritte ihm dafür danke sagt

dann wird die dritte

oder die vierte

wieder ein Feuer anzünden.

Ewart Reder


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